DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
​in der Corona-Krise
​
I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

Mittwoch, der 18. März - Vom Hohenzollernplatz bis Hauptbahnhof

3/19/2020

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Kurz vor zehn ist die Fasanenstraße noch leer. Die Antikläden sind geschlossen, die Bekleidungsgeschäfte zugeklebt. Nur bei Degussa steht eine Schlange von Leuten in gebührendem Abstand zu einander, Zeitungen und Handy vor der Nase. Wollen sie Gold kaufen oder verkaufen? Das ist hier die Frage. Schweigen. Ich ziehe in der Straßenmitte an Ihnen vorbei. Am Kurfürstendamm ist alles wie es sein soll, zehn gelbe Busse, Stühle vor dem Kranzlereck, Passanten. Am Bahnhof Zoo die erste Überraschung. Wo sonst gedrängt und geschubst wird zähle ich nur acht Pendler. Wo sind die Taschenroller, die Drogentypen, die Alkis geblieben? Die Kartenverkäufer sitzen in ihrem Provisorium, durch die Fenster erblicke ich null Publikumsverkehr aber oben fahren die Züge wie immer. An der anderen Seite vom Hardenberg-Platz wird gerade das Tor zum Zoo geöffnet. Tiere können sich ja nicht anstecken. Am Wegrand im Tiergarten blühen die Forsythien, die Schleuse ist voller Möwen. Rechterhand wagen sich die Hyänen dicht ans Gitter, vielleicht um Frühlingsluft zu schnuppern, vielleicht auch etwas anderes. Am Kanalrand sitzt jedenfalls ein Obdachloser, umgeben von einem großen Packen Altpapier. Sein strenger Geruch verfolgt mich noch eine Weile. Im Park Café dann doch ein paar Kaffeetrinker in der Morgensonne. Ich umrunde die spanische Botschaft und gehe die erhabene Tiergartenstraße entlang. Vor der gigantomanischen saudi-arabischen Botschaft staut sich eine zweite Schlange, Frauen mit Kopftüchern, alte Männer. Gibt es noch Flugzeuge, die sie nachhause bringen wollen? Links in den Tiergarten hinein Bläue soweit das Auge reicht, wilde Hyazinthen, Bärlauch und Anemonen, auf der breiten Allee aber niemand, der sie bewundert.  Beim Überqueren der Straße des 17. Juni sehe ich das Brandenburger Tor und mache mitten auf der Fahrbahn ein paar Bilder. Kommt ja eh kein Auto. Noch 400 Meter bis zum Kanzleramt. Stille. Ob die Kanzlerin mal richtig schläft? Rechts taucht hinter den Bäumen der verlassene Skulpturengarten auf, dahinter der Reichstag, zweifelsohne leer. Hier will heute niemand heute spazieren gehen. Zwischen Kanzleramt und Abgeordnetenhaus sind die Straßenarbeiten verlassen worden. Die rot-weiße Absperrung flattert im Wind. Hinter der Schweizer Botschaft badet der Hauptbahnhof im grellen Frühlingslicht. Ein einsamer Saxophonspieler und eine ratternde S-Bahn machen zusammen Stadtmusik. Die Straßenbänke, das Pflaster, die Rolltreppen, alles glänzt vor unbenutzter Sauberkeit. Ist man zwischen den Fronten, hört man die Kanonen. Aber das hier, was ist das? Sonnenschein und Frühlingsblüten. Irrer könnte das Gesicht einer Krise nicht aussehen. 



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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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