Lehrerin in Ruhestand (77). Ort: Hohenzollerndamm in der Nähe der Autobahn
Ich sehe sie, wie sie vorsichtig den Damm überquert - leichter plissierter Sommerrock, hochgeschlossene Bluse, weiße Sandalen – und dabei einen altmodischen Kinderwagen vor sich herschiebt. Als wir uns passieren, erblicke ich darin einen alten Pudel, der mit seiner graubraunen Schnauze gerade aus der Decke hervorlugt. Zwei kleine, weiß verschleierten Augen gucken blind in die Welt. Sie fängt meinen Blick auf und nickt mir ermunternd zu.
Ich: Genießt er das? So herumgefahren zu werden?
Sie: ‚Sie. Genießt sie es. Es ist ein altes Mädchen, schon siebzehn Jahre alt ist sie. Da wird man steif auf den Beinen (lacht). Ich wohne drüben am Ku’damm, wo Hildegard Knef gewohnt hat, wissen Sie? Und ich fahre sie jeden Tag hierher, damit sie spazieren gehen kann. Dahinten (weist Richtung Friedhof), da tut sie dann ein paar Schritte. Aber soweit hierher kann sie nicht mehr laufen.
Ich: Aber Sie.
Sie: ‚Ja ich, ich laufe viele Kilometer am Tag. Ich sage immer, das alte Mädchen hält mich jung. Ich komme aus Thüringen, müssen Sie wissen, aus Smöln. Ich bin eine Thüringerin. Da lagen die Russen nach dem Krieg. Meine Mutter hat uns immer im Kohlenverschlag versteckt. Ich war noch ein Kind, aber meine Schwester, die war sieben Jahre älter als ich. Immer in den Kohlenverschlag! Die von der Kommandantur, das waren die Schlimmsten. Die kamen nachts über die Zäune. Schrecklich waren die! Aber es gab auch Frauen, die haben da mitgemacht. Die hatten es dadurch leichter. Geschenke bekamen sie, und Kinder natürlich. Ich sage mal, der Russe war nicht immer schlecht. Deswegen. Die Russen hier im Viertel und auch die Ausländer, die kann ich gut um mich haben. Was sind Sie für Sternbild?‘
Ich: Ich bin Krebs.
Sie: ‚Ah ja. Ich bin Skorpion, die vertragen sich gut mit Krebsen. Mein bester Freund war einer. Nein. Das geht immer gut zusammen. Und wo sind Sie her, wenn ich fragen darf? (...) Ah ja, das hört man. Und wie alt sind Sie? (...) Das ist aber noch jung! Mein Freund, müssen Sie wissen, mit dem habe ich immer im Sandkasten gespielt (bei ‚Sandkasten‘ leuchtet ihr Gesicht mädchenhaft auf). Der war an der Bornstädter Straße, da wo die Russen immer durchkamen. Dann haben wir geguckt. Später hat er mich erzählt, dass er also ein Kind von denen war. Sein Vater war russischer Offizier. Der hat ihm aber auf Hände getragen. Muss man akzeptieren, ist halt auch eine Realität.‘
Ich: Und? Sind Sie bislang gut durch die Krise gekommen?
Sie: ‚Sie meinen: Das hier? (macht ein Handgebärde Richtung Stadt). Ach wo. All diese Aufregung. Da haben wir schon Schlimmeres erlebt. Ich sage zu meinem Mann, wir sehen einfach was kommt. Ich habe natürlich so ein Ding (fischt einen Mundschutz aus der Tasche). Das muss sein. Aber, nun ja. Soll man sich mal nicht zu sehr aufregen, deswegen. Das geht wieder vorbei.‘
Ich sehe sie, wie sie vorsichtig den Damm überquert - leichter plissierter Sommerrock, hochgeschlossene Bluse, weiße Sandalen – und dabei einen altmodischen Kinderwagen vor sich herschiebt. Als wir uns passieren, erblicke ich darin einen alten Pudel, der mit seiner graubraunen Schnauze gerade aus der Decke hervorlugt. Zwei kleine, weiß verschleierten Augen gucken blind in die Welt. Sie fängt meinen Blick auf und nickt mir ermunternd zu.
Ich: Genießt er das? So herumgefahren zu werden?
Sie: ‚Sie. Genießt sie es. Es ist ein altes Mädchen, schon siebzehn Jahre alt ist sie. Da wird man steif auf den Beinen (lacht). Ich wohne drüben am Ku’damm, wo Hildegard Knef gewohnt hat, wissen Sie? Und ich fahre sie jeden Tag hierher, damit sie spazieren gehen kann. Dahinten (weist Richtung Friedhof), da tut sie dann ein paar Schritte. Aber soweit hierher kann sie nicht mehr laufen.
Ich: Aber Sie.
Sie: ‚Ja ich, ich laufe viele Kilometer am Tag. Ich sage immer, das alte Mädchen hält mich jung. Ich komme aus Thüringen, müssen Sie wissen, aus Smöln. Ich bin eine Thüringerin. Da lagen die Russen nach dem Krieg. Meine Mutter hat uns immer im Kohlenverschlag versteckt. Ich war noch ein Kind, aber meine Schwester, die war sieben Jahre älter als ich. Immer in den Kohlenverschlag! Die von der Kommandantur, das waren die Schlimmsten. Die kamen nachts über die Zäune. Schrecklich waren die! Aber es gab auch Frauen, die haben da mitgemacht. Die hatten es dadurch leichter. Geschenke bekamen sie, und Kinder natürlich. Ich sage mal, der Russe war nicht immer schlecht. Deswegen. Die Russen hier im Viertel und auch die Ausländer, die kann ich gut um mich haben. Was sind Sie für Sternbild?‘
Ich: Ich bin Krebs.
Sie: ‚Ah ja. Ich bin Skorpion, die vertragen sich gut mit Krebsen. Mein bester Freund war einer. Nein. Das geht immer gut zusammen. Und wo sind Sie her, wenn ich fragen darf? (...) Ah ja, das hört man. Und wie alt sind Sie? (...) Das ist aber noch jung! Mein Freund, müssen Sie wissen, mit dem habe ich immer im Sandkasten gespielt (bei ‚Sandkasten‘ leuchtet ihr Gesicht mädchenhaft auf). Der war an der Bornstädter Straße, da wo die Russen immer durchkamen. Dann haben wir geguckt. Später hat er mich erzählt, dass er also ein Kind von denen war. Sein Vater war russischer Offizier. Der hat ihm aber auf Hände getragen. Muss man akzeptieren, ist halt auch eine Realität.‘
Ich: Und? Sind Sie bislang gut durch die Krise gekommen?
Sie: ‚Sie meinen: Das hier? (macht ein Handgebärde Richtung Stadt). Ach wo. All diese Aufregung. Da haben wir schon Schlimmeres erlebt. Ich sage zu meinem Mann, wir sehen einfach was kommt. Ich habe natürlich so ein Ding (fischt einen Mundschutz aus der Tasche). Das muss sein. Aber, nun ja. Soll man sich mal nicht zu sehr aufregen, deswegen. Das geht wieder vorbei.‘