DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
​Eine Ethnographie Berlins in der Corona-Krise
​
II. Ein Kiez geht durch die Krise

Abgeschlossen

Von 25. April bis 16. Mai

Samstag, der 9. Mai – Auf Sicht fahren

5/9/2020

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Hoch-Bau Architektin (45). Ort: Volkspark
 
Seit diese Krise begonnen hat fahre ich auf Sicht, so von – halt sehen was kommt und das jeden Tag von neuem. Mein Leben ist mehr nicht planbar und wie es aussieht wird es auf lange Sicht auch nicht sein. Geplant war, dass der Kleine, der gerade ein Jahr alt geworden ist, in Mai in dieselbe Kita kommen würde in die mein Großer bis Ausbruch der Krise schon ging. Geplant war auch, dass ich im Sommer wieder in den Arbeitsprozess einsteigen und erste Aufträge akquirieren würde. Das wäre gegangen. Der Markt ist gerade gut und Leute wie ich werden händeringend gesucht. Aber daraus wird nun nichts.  Das kann ich jetzt vergessen. Mit zwei kleinen Kindern zuhause sind mir die Hände gebunden. Am Anfang war ich erbost darüber. Ich habe sogar sehr damit gehadert wie auf einmal, mir nichts dir nichts meine Bürgerrechte eingeschränkt wurden. So von, - das machen wir jetzt mal, nur vorübergehend, muss halt sein.
Du musst wissen, ich bin Bürgerin dieses Landes, hinter dessen Grundgesetze ich völlig stehe, und bin somit in einem ganz bestimmten Umfeld aufgewachsen. Ich habe mich viel mit der Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt, habe meine ersten Zeitzeugen so zu sagen schon in der Grundschule gehört. Immer ging es darum, dass wir lernten die Anfänge zu erkennen. In den 1930er Jahren waren sie alle miteinander peux-à-peux in den Abgrund geschlittert: hier noch ein Gesetz, dort noch eine Maßnahme und dann saßen sie auf einmal in der Falle. Da gab es keinen Weg mehr zurück. Und vor zwei Monaten dachte ich, jetzt geht es wieder von vorne los, gleich sitzen wir drin und werden die Maßnahmen festgemeißelt. Damit habe ich gehadert.
Meine Umgebung hat mir meine Bosheit nicht gespiegelt. Die sagten alle, wieso, das muss jetzt sein, ist nur für kurze Zeit. Und dann merkte ich auch, dass meine Unruhe von der AFD vereinnahmt wurde, dass die versuchten genau daraus Münze zu schlagen. Das wollte ich auch wieder nicht. Das bin ich nicht. Da gehöre ich nicht hin. Also habe ich es gelassen. 
Seitdem versuche ich jeden Tag zu sehen was kommt und es dann auch anzunehmen. Das ist total schwierig. Finanziell ist es enger geworden. Außerdem habe ich die kleinen Inseln, die ich für mich geschaffen hatte, - mal eine Freundin zum Lunch treffen, mal ohne Kinder einkaufen oder in den Garten gehen - verloren. Für die Kinder bedeutet es, dass ich ungeduldiger geworden bin. Das merken sie und die geben mir das zurück. Der Älteste, der ist eigentlich ein ganz lieber, der tut auf einmal Dinge wovon er weiß, dass sie mich ärgern. Ob ihm Aufmerksamkeit fehlt oder was anders muss ich noch herausfinden.
Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden. Aus dem ‚nur für ein paar Wochen‘ ist jetzt doch eine unbestimmt lange Zeit geworden. Ich mag gar nicht daran denken, wie das weiter gehen wird. Darum sage ich die ganze Zeit, ich fahre auf Sicht.


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    Die Autorin wohnt in Berlin-Wilmersdorf

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    May 2020
    April 2020

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