DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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​Eine Ethnographie Berlins in der Corona-Krise
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Abgeschlossen

Von 25. April bis 16. Mai

Samstag, der 2. Mai – Der Nachschub

5/4/2020

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Gemüsebauer aus dem Berliner Umland (82). Ort: Wochenmarkt
 
Sie haben heute einen kleinen Stand?
‚Ja. Das kommt, ich empfange keinen Nachschub mehr. Es gibt nichts. Meine eigenen Tomaten, die dauern noch bis Ende Mai. Mindestens. Es ist zu kalt gewesen. Jetzt verkaufe ich was noch da ist (er weist auf die Auslage). Da. Es gibt noch ein paar Kartoffeln und rote Beeten vom letzten Jahr. Die können Sie haben. Und Rhabarber natürlich, der ist schon gekommen.‘ Ich schaue in der angegebenen Richtung. Richtig. Was fehlt sind die Frühlingszwiebeln, die Kräuter und jungen Salate aus Italien, die er sonst immer um diese Zeit im Angebot hat. Auch die kleinen grünen und weißen Blumenkohlen fehlen. Als ich nicke hebt er erst richtig an: 
‚Was fehlt sind meine Tomaten. Ich habe nur Harzfeuer wie Sie wissen, die sind aber jedes Jahr spät ran. Juni – Juli, dann geht’s erst richtig los. Haben Sie einen Garten? (...) Ah. Und machen Sie auch Tomaten? Ich sage Ihnen. Man muss ihnen die Spitze nehmen, richtig kürzen. Das zwingt die unteren Triebe auszulaufen. Dann haben Sie die Tomaten unten. Wenn die Pflanze dann noch einmal in der Mitte ausläuft, dann sollen Sie den Trieb stehen lassen. Verstehen Sie das? Stehen lassen! Dann klettern die Früchte im Laufe des Sommers nach oben, dann hat man erst richtig Ernte. Was haben Sie für Boden? (...) Das reicht nicht. Pferdeäpfel, mindestens! Mineralerde brauchen Sie noch dazu. Man müsste auch Frühblüher haben. Haben Sie Frühblüher? Ich habe die nicht. Mit Frühblühern hätte man in diesem Monat schon eine Ernte. Die drüben (er weist auf die Spargelstände gegenüber), die haben ihre Ernte schon. Die müssen jetzt sogar schon losschlagen. Aber Harzfeuer. Wir kriegen noch mal Bodenfrost, wissen Sie das? Es wird nochmal richtig kalt.‘ 
Ich kaufe ihm den Rhabarber, die rote Bete, die Petersilie und noch ein paar Wurzeln ab, halt alles was da ist. Gesamtsumme: sechs Euro. Als ich mich anschließend verabschieden will, kommt er hinter seinem Stand hervor, ein kleiner Mann mit krummen Gliedmaßen vom vielen Feldarbeit, und läuft mir über den Markt hinterher. Die Leute bleiben stehen und drehen sich nach uns um. Er aber sieht nichts mehr. Es muss ihm noch etwas vom Herzen: ‚Wenn Frost kommt, müssen Sie Kerzen im Tomatenzelt brennen lassen. Solche dicke Kirchenkerzen, die sind gar nicht so teuer. Abends anzünden und die ganze Nacht brennen lassen. Der Frost kommt von oben, verstehen Sie? So bleibt es am Boden gerade über null. Das reicht. Sonst kann man alles wegwerfen.‘ Er macht mit der Hand eine wegwerfende Bewegung, in der all seine Verzweiflung beschlossen liegt.  Und ich weiß: da droht jemand unter die Räder der Krise zu kommen.
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    Die Autorin wohnt in Berlin-Wilmersdorf

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