DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
​Eine Ethnographie Berlins in der Corona-Krise
​
II. Ein Kiez geht durch die Krise

Abgeschlossen

Von 25. April bis 16. Mai

Mittwoch, der 29. April – Wieder klein anfangen

4/30/2020

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Tischler (72). Ort: Seitenstraße der Uhlandstraße
 
Er steht wie eh und je auf dem Gehsteig und streicht einen Möbelteil an. Gegen die Häuserwand stehen seine Möbel gelehnt: Spiegelrahmen, Flurtische, Biedermeierstühle und Fußschemel. Manchmal hält jemand inne, um sie zu begutachten und den Preis zu erfragen. Ein Gesprächsfaden ist dann meistens schnell gefunden. Viele haben zuhause noch einen Mahagonischrank, oder einen Empiretisch der dringend der Überarbeitung bedarf, informieren ob er mal vorbeischauen kann und schon ist er im Geschäft. Heute freut er sich, dass ich anhalte um zu fragen wie es ihm geht. 
Er war gestern zum ersten Mal wieder im Supermarkt einkaufen und hatte sich darüber gewundert, wie diszipliniert die meisten Leute sich dann doch verhielten. Hatte einem Gespräch zwischen zwei Verkäuferinnen gelauscht, wie sie darüber klagten den ganzen Tag Mund und Nase bedecken zu müssen, wie erstickend das für sie sei, und hatte Mitleid empfunden. Ihm selber geht es gut. Er fühle sich durch die Verordnungen zum ersten Mal seit langer Zeit ganz entschleunigt. In den Wochen des Lockdowns waren neue Aufträge zwar weitgehend ausgeblieben. Dafür hatte er die alten, die noch aus dem letzten Jahr kamen, abarbeiten können. Das fühlt sich gut an, damit könne er erst einmal leben. Aber ob sich das Geschäft auf Dauer damit erhalten lässt, daran hat er so seine Zweifel.
‚Man merkt, dass die Leute kein Geld mehr ausgeben wollen. Sie sind zögerlich geworden. Obwohl es hier in der Gegend weiß Gott Geld genug gibt. Warum? Weil man nicht weiß wie es weiter geht. Wie soll es auch weiter gehen? Hat man die erste Welle einmal weg, wird das Virus hinten rum wieder reinkommen. Das weiß man doch. Das kann man sich doch an den Fingern ausrechnen. So sitzen sie alle auf ihrem Geld und warten erst einmal ab.‘ 
Was ihn ärgert ist das Gerede vom ‚Recht auf Ferien, oder wie die das nennen. Mein Gott, dann mal ein Jahr nicht an die Ostsee. Das ist aber für die meisten zu schwierig. Das ist unsere Ich-Gesellschaft, die sich unbedingt verwirklichen will. Erst ich und davon immer mehr. Dann lange Zeit nichts.‘ So etwas bekommt er mit den Einrichtungswünschen immer hautnah mit. Das kann aber auf Dauer nicht gut gehen. Auch deswegen empfindet er die Krise als Chance. ‚Wir müssen erst mal ganz demütig werden. Man könnte sich darüber freuen, dass die Bäume grünen und man ein Spaziergang machen kann.‘ Wieder klein anfangen nennt er das. Für sich hat er das Ziel abgesteckt, später im Jahr vielleicht mit dem Fahrrad nach Brandenburg rausfahren zu können. Aber dafür müssten erst die Gastwirtschaften wieder geöffnet sein. 
Drinnen klingelt es. ‚Kunde droht mit Auftrag!‘ ruft er erfreut und geht eilig davon.
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    Die Autorin wohnt in Berlin-Wilmersdorf

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