DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
​in der Corona-Krise
​
I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

Freitag, der 3. April - Raum und Zeit

4/3/2020

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Am Mittwoch, als ich draußen lief, da kamen mir auf einmal keine Geschichten mehr entgegen. Eine Sendepause war angesagt. Es gab dafür die herzlichsten Reaktionen, wofür an dieser Stelle Dank. Eine Leserin schrieb: ‚Kein Wunder. Es gibt sozusagen kein draußen mehr.‘ Das war das Stichwort. Ist das so? Da draußen geht die Sonne auf und pfeifen die Spatzen von den Dächern. Da draußen vertritt man sich die Füße, steht beim Laden an und guckt anderen beim Abstand halten zu. Es gibt ja immer noch viel zu bestaunen. Den Autofahrer zum Beispiel, der in Maske und Schal vermummt hinterm Steuer sitzt. Oder das Pärchen, das zu zweit einkaufen geht und sich lange nicht entscheiden kann. So lange es Leute gibt, gibt’s Action! Wahr ist, die Bilder gleichen sich Tag für Tag mehr an. Was fehlt sind die Rhythmen des Alltags. Es fehlt uns das Gefühl für Zeit. Stattdessen ein klebriges Spinngewebe, das jeden Tag zum faden Sonntag werden lässt. Wo ist Ariadne’s Faden geblieben?
Wussten Sie, dass heute die Osterferien beginnen, am Sonntag schon Palmsonntag ist, am Mittwoch das Pesachfest, Freitag der Karfreitag und danach Ostern kommt? Am 19. April werden die Orthodoxen feiern und am 23., einem Donnerstag, beginnt auch schon der Ramadan. Die großen religiösen Feste, wie wird man sie begehen? Der religiöse Kalender war doch immer ein ehernes Gerüst. Kurzer Gang also zur Kirche und Synagoge, die Moschee nicht vergessen und auch die Russisch-Orthodoxe Kirche nicht. Liegen sie noch im Dornröschenschlaf oder wird da schon an einem Faden gestrickt?
Russische Kirche. Klingeln. Pope kommt heraus. Was wird Ostern? ‚Bis dahin alle Nachtwachen abgesagt!‘ Moschee. Klingeln. Imam kommt heraus. Was wird Ramadan? ‚Das dauert noch. Das Fastenende sowieso. Vielleicht dürfen wir bis dahin wieder!‘ Kirche der Heiligen der Letzten Tagen: Nichts. Gemeinde Zum Heiligen Kreuz: Nichts. Sankt Ludwig: Nichts. Vor der Synagoge zwei Polizisten. ‚Junge Frau! Da ist niemand!‘ Die religiösen Kalender von heute, einen Leitfaden bieten sie nicht.
Heute morgen sagte Bruno Latour im Radio: Mikroben haben eine unheimliche Fähigkeit sich zu wandeln. Sie sind aber nicht unsere Feinde. Wir sollten vielmehr von ihnen lernen. Auch wir sind wandlungsfähig, ganz anders als die Mikroben das tun‘. Latour’s ‚wir‘, das sind die Institutionen von Politik und Wissenschaft, Kultur, Religion und die Wirtschaft, die Gesellschaft eben. Das Problem, das sich ihnen stellt, das Virus und die Folgen, ist mitnichten individuell. Latour dachte sicherlich auch nicht an Gregor Samsa, der sich beim Aufwachen in einen Käfer verwandelt sah. Samsa’s Problem: er sah den Ausschlag unterm Kinn, konnte sich aber nicht kratzen. Die Käferbeinchen erlaubten es ihm nicht. Die Gesellschaft jedoch, mit ihren vielen Armen und Beinen, ja, die kann die Krallen jetzt wetzen. 
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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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