Wer vom Hauptbahnhof über die Fußgängerbrücke Richtung Reichstag geht, steht nach einem kurzen Gang im symbolischen Zentrum dieses Landes. Früher stromerten hier Tagesausflügler, Touristen und Demonstranten aller Art, und lichteten sich unablässig ab. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so, jedenfalls nicht im Augenblick. Stimmen mehren sich sogar, die offen sagen, eine Rückkehr dahin gäbe es auch nicht mehr. Heute morgen ging ich den Weg jedenfalls alleine. Mein Ziel galt dem Terrain am Brandenburger Tor, wo die Erinnerungsorte der Bundesrepublik ausgebreitet liegen. Wie sprechen sie zu uns in der Krise? Sprechen sie überhaupt? Eine vorsichtige Erkundung.
Als erstes, dem Reichstag unmittelbar benachbart, stößt die Suchende auf das Bärlauch-Wäldchen, in dem der stille Spiegel der Sinti und Roma liegt. Ein zurückhaltenderer Ort ist kaum denkbar. Wer ihn betritt wird von langen Tönen begrüßt. Die Luft spiegelt sich im Wasserrund. Die Bäume wiegen sich im Wind. In den Steinplatten ringsum die Namen der Stätten, wo weit weg das Töten geschah: Libau, Stutthof, Königsberg, Treblinka, fünfundfünfzig in der Zahl.
An diesem Ort liegt das Gedenken nah beieinander, auch wenn das eine das andere nicht kennt. Am Saum des Wäldchens stehen die Kreuze der Mauertoten. Zwölf Männer und eine Frau, die wollten die Spree am Reichstag überqueren, wurden gejagt und erschossen, der letzte am 5.2.1989. Blumen und Schleifen zeugen davon, dass das so lange her nicht ist.
Am Tor vorbei, es sind nur 300 Meter, folgen sodann die Stelen, die den Mord an den Juden in Erinnerung rufen. Ich gehe langsam durch die Sträßchen, dem holperigen Pflaster auf und ab. Ein Friedhof ohne Toten, ein Bäumchen, das gerade sprießt, weit weg ein Baugeräusch, da ist man frei zu denken, was gerade kommt.
Und was denke ich? Heine: Die alten bösen Lieder / Die Träume schlimm und arg / Die lässt uns jetzt begraben / holt einen großen Sarg. Gleich an der Überseite der Straße steht, vom Stelen Feld aus gut sichtbar, Goethe im strahlenden weiß. Seine Generation erholte sich gerade vom Bösen eines anderen Krieges. Von den Vernichtungskriegen des zwanzigsten Jahrhunderts war er noch meilenweit entfernt. Von dem globalen Schreckensszenarien, die allmählich zu uns drängen, was konnte er davon schon ahnen? Jede Generation hat sein eigenes Schicksal.
An der Tiergartenstraße, nur ein Katzensprung von Goethe entfernt, treffe ich vor der italienischen Botschaft auf das Gedenken, das noch keinen Monat alt ist. Aus ihm spricht der Wille, die Mordlust der Väter nicht, unter keinen Umständen, nicht mal in Gedanken, zu wiederholen. Da, auf dem Bordstein, liegen Blumen, ein gemaltes Herz und ein offener Brief. ‚Liebe Italiener! Uns ist egal, ob italienische oder deutsche Opas und Omas in unseren Krankenhäusern liegen, Hauptsache, ihnen wird geholfen. Ihr seid unsere Freunde!‘ Gezeichnet: Alice u. Benedikt. Berliner wie Sie und ich.
Als erstes, dem Reichstag unmittelbar benachbart, stößt die Suchende auf das Bärlauch-Wäldchen, in dem der stille Spiegel der Sinti und Roma liegt. Ein zurückhaltenderer Ort ist kaum denkbar. Wer ihn betritt wird von langen Tönen begrüßt. Die Luft spiegelt sich im Wasserrund. Die Bäume wiegen sich im Wind. In den Steinplatten ringsum die Namen der Stätten, wo weit weg das Töten geschah: Libau, Stutthof, Königsberg, Treblinka, fünfundfünfzig in der Zahl.
An diesem Ort liegt das Gedenken nah beieinander, auch wenn das eine das andere nicht kennt. Am Saum des Wäldchens stehen die Kreuze der Mauertoten. Zwölf Männer und eine Frau, die wollten die Spree am Reichstag überqueren, wurden gejagt und erschossen, der letzte am 5.2.1989. Blumen und Schleifen zeugen davon, dass das so lange her nicht ist.
Am Tor vorbei, es sind nur 300 Meter, folgen sodann die Stelen, die den Mord an den Juden in Erinnerung rufen. Ich gehe langsam durch die Sträßchen, dem holperigen Pflaster auf und ab. Ein Friedhof ohne Toten, ein Bäumchen, das gerade sprießt, weit weg ein Baugeräusch, da ist man frei zu denken, was gerade kommt.
Und was denke ich? Heine: Die alten bösen Lieder / Die Träume schlimm und arg / Die lässt uns jetzt begraben / holt einen großen Sarg. Gleich an der Überseite der Straße steht, vom Stelen Feld aus gut sichtbar, Goethe im strahlenden weiß. Seine Generation erholte sich gerade vom Bösen eines anderen Krieges. Von den Vernichtungskriegen des zwanzigsten Jahrhunderts war er noch meilenweit entfernt. Von dem globalen Schreckensszenarien, die allmählich zu uns drängen, was konnte er davon schon ahnen? Jede Generation hat sein eigenes Schicksal.
An der Tiergartenstraße, nur ein Katzensprung von Goethe entfernt, treffe ich vor der italienischen Botschaft auf das Gedenken, das noch keinen Monat alt ist. Aus ihm spricht der Wille, die Mordlust der Väter nicht, unter keinen Umständen, nicht mal in Gedanken, zu wiederholen. Da, auf dem Bordstein, liegen Blumen, ein gemaltes Herz und ein offener Brief. ‚Liebe Italiener! Uns ist egal, ob italienische oder deutsche Opas und Omas in unseren Krankenhäusern liegen, Hauptsache, ihnen wird geholfen. Ihr seid unsere Freunde!‘ Gezeichnet: Alice u. Benedikt. Berliner wie Sie und ich.