DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
​in der Corona-Krise
​
I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

​Montag, der 20. April – In der Unterwelt

4/20/2020

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Heute soll die Rückkehr zur Normalität eingeleitet werden. Erste Schritte zwar, aber viele Läden dürfen wieder öffnen. Also freue ich mich und ziehe los, um mit dabei zu sein. Wo da? Nicht so schwierig. Wo sonst ließe sich das Geschehen besser beobachten als in den Tempeln des Einkaufs und der Mobilität, die da sind die Bahnhöfe Berlins? Es gibt nicht wenige davon, aber mein Ziel gilt heute nur den ganz großen, dem Potsdamer und dem Alexanderplatz und auch dem Hauptbahnhof. 
Dem Potsdamer Platz nähere man sich von Westen her, dort wo die Straße nach rechts beugt und abtaucht in die kalte Schlucht. Wo einst der größte Mauerstreifen zwischen Ost und West sich auftat, da sollte die wiedervereinigte Stadt mit Einkaufspassagen neu vermessen werden. Aber in den Läden rührt sich heute nichts und auch der Bahnhof darunter gleicht eher einer Geisterstadt. Die Räume liegen alle im Dunkeln. Meine Schritte hallen von den Wänden. Damals als noch die Mauer stand fuhr man hier an ebenso dunklen und geisterhaften Bahnsteigen entlang, vorbei an schmutzig-weißen Kacheln und Männern mit Waffen im Arm. Die Waffen fehlen heute zwar, aber von einer Öffnung nicht die geringste Spur.
Dann lieber schnell zum Alexanderplatz. Dort von oben nach unten zu laufen macht mir immer eine Freude. Lichtdurchflutet ist das Gewölbe der S-Bahn, das Amphitheater der Treppen glänzt. Die Eisenträger sind von hellen Lichtkästen gekrönt, die grün-blauen Kacheln schimmern. Die U-Bahn hat hier das Privileg, in einem Aquarium zu halten. Es fehlen zwar die Fische, dafür gibt es Ziele, über die man träumen kann. Die U5 nach Hönow zum Beispiel, da könnte man zum Tierpark fahren oder zum Kienberg, wo die Gärten sind. Heute will das aber niemand. Die Bahnsteige bleiben leer und auch die Läden, die die Passagen säumen. Die Erlaubnis mag gegeben sein, trotzdem, wo bleiben die Berliner denn?
Schließlich noch eine Stippvisite durch den Hauptbahnhof. Mit der Leere habe ich mich inzwischen versöhnt. Fünf Männer klettern mit Tauen am Gewölbe entlang, ihre Silhouetten im scharfen Licht. Fensterputzer, ein aussichtreicher Beruf. Noch einmal die Treppen hinab bis in die tiefste Unterwelt, dort wo die unerreichbaren Fernziele angekündigt sind. Nürnberg, Stralsund, wann wird das denn wieder? Alles hier unten schweigt Stille, nur die S-Bahn ganz oben lässt sich noch vernehmen. Um sie zu erreichen steigt man die hundertfünfundsechzig Stufen wieder hoch. 
Ist alles jetzt gesehen? Noch nicht alles. Da oben liegt die Stadt höchst selbst, im schönsten Maiengrün. Was steige ich da in die Unterwelt hinab, wie einst die Göttin Inanna? Was fördere ich die Dunkelheit heraus, wenn doch die Sonne scheint?

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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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