DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
​in der Corona-Krise
​
I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

Montag, der 30. März - Horchproben

3/30/2020

1 Comment

 
 
Es ist erst zwölf Tage her da ich anfing durch Berlin zu wandern und jeden Tag einen Blog zu führen. Am 18. März trat die Verordnung des Senats zur Corona-Krise in Kraft. Neben den meisten Läden machten Diskos und Opern, Kinos und Museen, Kneipen, Bars und Clubs die Türen zu. Damals tat man sich noch schwer damit, gab es doch 383 Infektionen in Berlin und landesweit erst 8000. Jedoch sagte die Bundeskanzlerin am Abend: ‚Ich brauche jetzt eine Vollbremsung.‘ Und so passierte es denn auch. Seitdem hält Berlin mehr oder weniger die Füße still und schaut den Zahlen beim Ansteigen zu. In zwölf Tagen vermehrten sie sich um sieben, - anderorts um acht oder gar um zwölf. Ob Deutsche, Türken oder Griechen, Russen, Italiener oder Polen, die Stadt, das Land und der Erdkreis warten nunmehr auf die Welle, von der niemand weiß, wann genau und mit welcher Wucht sie trifft. 
Die Mesopotamier kannten eine Form der Vorhersage, Egirru genannt, mit der sie versuchten die Geräusche im öffentlichen Raum mit Deutung zu versehen. 2020 vor unserer Zeitrechnung galt eine solche atmosphärische Bestandsaufnahme dem Schrei einer Eule, dem Fiepen der Ratten im Abfluss oder einem Donnerhall nach dem Blitz. Auch wenn sich in Berlin noch immer solche Töne vernehmen lassen, so öffne ich heute die Ohren für das, was zufällig kommt.
Morgens um 9.00 auf der Uhlandstraße schüttelt ein Müllwagen, zischen Autoreifen auf glattem Pflaster, rufen die Spatzen vom Dach. Am Ludwigkirchplatz empfange ich zwei menschliche Stimmen, das Ru-ku einer Taube und Hundegebell. Auf der Lietzenburger Straße erklingt das Surren eines Motors am Rad des Briefträgers sowie das Kling-Klang des Gerüstbauers. Entlang der Wieland Straße Tauben. Die Tür eines Lastwagens schlägt zu. Richtung Kantstraße rattert die S-Bahn, dahinter das Rauschen des Verkehrs. Doch wenn ich die Augen wieder öffne sind es nur vier Autos, ein Lastwagen und ein Bus. Hinter der Häuserfront klingen Klopfgeräusche, eine Bodenschleifmaschine sowie ein lautes Gerassel, das ich mit einem Zementmischer verbinde. Der M49 brummt an der Haltestelle vor sich hin. Die Wilmersdorfer Straße tönt mit Einkaufswägelchen auf Kopfsteinpflaster. Ein Mann schleift mit den Füßen. Ein Schlüssel wird ins Schloss gesteckt. Ein Anzünder verweigert wiederholt den Dienst. Spatzen. Tauben. Unterdrücktes Husten. Aus weiter Ferne klingt die Sirene der Feuerwehr. Ich lausche noch meinen eigenen Füßen bis zur Bismarckstraße, dann habe ich ein ungefähres Bild. 
Was lässt sich nun aus dieser Horchprobe schließen? Berlin ist in Ruhemodus. Seine Töne lassen sich einzelnen heraushören. Gesprochen wird nur wenig. Die Vögel stören sich nicht daran. Die städtische Infrastruktur funktioniert soweit. Die Baubranche scheint eine Lücke für sich entdeckt zu haben. Würde eine Stadt den Atem einhalten können, dann hört es vermutlich sich so an.


1 Comment
EP
3/31/2020 03:35:27 pm

… die Musik der Stille öffnet Ohren und Seele ….

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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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