DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
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I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

Freitag, der 27. März - Berliner Luft

3/27/2020

1 Comment

 
Es liegt was in der Luft an diesem Morgen. Die Straße grünt so grün, sie könnte glatt da draußen sein, wo jetzt die Lerchen steigen. Jambenwetter. Mich zieht’s heraus zur Ringbahn um Berlin. Zwar führt sie nicht nach Brandenburg, doch misst sie 37 Kilometer, hält an 27 Bahnhöfen und bietet viel Verkehr. An einem normalen Tag steigen eine halbe Million Menschen auf dieser Strecke ein. Mal sehen, was es mit der Berliner Luft dort auf sich hat.
Los geht’s am Hohenzollerndamm, mit einem kurzen Stopp am Messedamm, um den Busbahnhof zu sehen. Es grüßen die Werbungen von Flix- und Blablabus, doch an den Haltestellen null Verkehr und nichts, aber dann auch nichts zu sehen. Schnell zur Ringbahn zurück. Bahnhof Jungfernheide steigen die Reinigungskräfte ein und fegen einmal durch. Bahnhof Beusselstraße. Ein Mann telefoniert mit seiner Mutter und zeigt ihr die Aussicht mit der Handykamera. ‚Hast‘ gesehen? Küsschen, bis nachher.‘ Reinigt anschließend das Glas mit einem Taschentuch. Westhafen. Ein Kind mit Helm und Fahrrad kommt herein, die Mutter sorgsam hinterher. Berlins Kinder. Wie man hört geht es vielen in diesen Tagen hinter verschlossenen Türen nicht so gut, nicht wie diesem Kind, das nach draußen fahren darf. Gesundbrunnen. Eine junge Frau spricht energisch ins Handy, ‚Also, ich habe jetzt unterschrieben... Na, das wissen wir ja durch die Steuerklasse, die wees ick ja.‘ Ich wünsche ihr schweigend alles Gute. 
Die Bahn füllt sich, Frauen mit Kopftuch, Männer in Schlabberhosen, ein paar auffällig dünne Jungen, die sich leise auf Arabisch unterhalten. Hier geht Berlin seinen Gang und so manche gehen noch Geschäften nach. Die Kaffeeläden auf den Bahnsteigen haben regen Betrieb. Mann ins Handy: ‚Wo bist du? Nee, nee, bin gleich da‘. Sagt’s und steigt aus. Frankfurter Allee. War hier nicht die Stasi Zentrale? Vergangenheit, wo bist du geblieben. 
Am Bahnhof Frankfurter Allee herrscht Gedränge. Die Leute kommen paarweise rein, wie die Tiere in Noah’s Arche. Ostkreuz, das Tor nach Osten, Frankfurt(O), Kostrzyn, Wroclaw. Auf Gleis 8, am polnischen Wurststand, hat jemand ein Schildchen mit ‚God bless you‘ aufgehängt. Als ich wieder einsteige treffe ich auf zwei Damen, die in ein angeregtes Gespräch verwickelt sind. Es handelt von einer Teilnehmerin im Spazierklub, die gesagt haben soll, spazieren, das ginge nun nicht mehr. ‚Wir haben telefoniert, wollen nach wie vor ... mit großem Abstand, ja... sollen uns noch mal kurzschließen.‘ Bahnhof Neukölln verlassen die beiden den Zug. Zwischen Hermannstraße und Tempelhof schwingen zwei junge Männer zu den Rhythmen lautloser Musik, die Hände in den Hosentaschen. Zwei Fahrradfahrerinnen steigen zu, mit Seitentaschen und bloßen Armen, steigen am Südkreuz nach Zossen um.
Nach einer Stunde und fünfunddreißig Minuten bin ich wieder dort wo es heute morgen begann und ich weiß jetzt, die Berliner Luft, auch wenn sie nur schwach duftet, sie riecht nach Feriengenuss. So sind die Berliner.
 
Allen ein gutes Wochenende. Montag geht es weiter.
Gerdien

 

1 Comment
EP
3/27/2020 08:36:43 pm

Franz Hessel hätte seine Freude dran - es ist ganz einfach herzerfrischend, vein Blick voller Sorgfalt und Liebe

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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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