DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
​in der Corona-Krise
​
I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

Mittwoch, der 8. April - Gedenken

4/8/2020

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Wer vom Hauptbahnhof über die Fußgängerbrücke Richtung Reichstag geht, steht nach einem kurzen Gang im symbolischen Zentrum dieses Landes. Früher stromerten hier Tagesausflügler, Touristen und Demonstranten aller Art, und lichteten sich unablässig ab. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so, jedenfalls nicht im Augenblick. Stimmen mehren sich sogar, die offen sagen, eine Rückkehr dahin gäbe es auch nicht mehr. Heute morgen ging ich den Weg jedenfalls alleine. Mein Ziel galt dem Terrain am Brandenburger Tor, wo die Erinnerungsorte der Bundesrepublik ausgebreitet liegen. Wie sprechen sie zu uns in der Krise? Sprechen sie überhaupt? Eine vorsichtige Erkundung.
Als erstes, dem Reichstag unmittelbar benachbart, stößt die Suchende auf das Bärlauch-Wäldchen, in dem der stille Spiegel der Sinti und Roma liegt. Ein zurückhaltenderer Ort ist kaum denkbar. Wer ihn betritt wird von langen Tönen begrüßt. Die Luft spiegelt sich im Wasserrund. Die Bäume wiegen sich im Wind. In den Steinplatten ringsum die Namen der Stätten, wo weit weg das Töten geschah: Libau, Stutthof, Königsberg, Treblinka, fünfundfünfzig in der Zahl. 
An diesem Ort liegt das Gedenken nah beieinander, auch wenn das eine das andere nicht kennt. Am Saum des Wäldchens stehen die Kreuze der Mauertoten. Zwölf Männer und eine Frau, die wollten die Spree am Reichstag überqueren, wurden gejagt und erschossen, der letzte am 5.2.1989. Blumen und Schleifen zeugen davon, dass das so lange her nicht ist. 
Am Tor vorbei, es sind nur 300 Meter, folgen sodann die Stelen, die den Mord an den Juden in Erinnerung rufen. Ich gehe langsam durch die Sträßchen, dem holperigen Pflaster auf und ab. Ein Friedhof ohne Toten, ein Bäumchen, das gerade sprießt, weit weg ein Baugeräusch, da ist man frei zu denken, was gerade kommt. 
Und was denke ich? Heine: Die alten bösen Lieder / Die Träume schlimm und arg / Die lässt uns jetzt begraben / holt einen großen Sarg. Gleich an der Überseite der Straße steht, vom Stelen Feld aus gut sichtbar, Goethe im strahlenden weiß. Seine Generation erholte sich gerade vom Bösen eines anderen Krieges. Von den Vernichtungskriegen des zwanzigsten Jahrhunderts war er noch meilenweit entfernt. Von dem globalen Schreckensszenarien, die allmählich zu uns drängen, was konnte er davon schon ahnen? Jede Generation hat sein eigenes Schicksal.
An der Tiergartenstraße, nur ein Katzensprung von Goethe entfernt, treffe ich vor der italienischen Botschaft auf das Gedenken, das noch keinen Monat alt ist. Aus ihm spricht der Wille, die Mordlust der Väter nicht, unter keinen Umständen, nicht mal in Gedanken, zu wiederholen. Da, auf dem Bordstein, liegen Blumen, ein gemaltes Herz und ein offener Brief. ‚Liebe Italiener! Uns ist egal, ob italienische oder deutsche Opas und Omas in unseren Krankenhäusern liegen, Hauptsache, ihnen wird geholfen. Ihr seid unsere Freunde!‘ Gezeichnet: Alice u. Benedikt. Berliner wie Sie und ich.


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Dienstag, der 7. April - Verschwunden

4/7/2020

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Heute ging ich ziellos durch die Straßen, doch waren es alte Fährten, wie ich irgendwann sah. Das Augenmerk lag nicht bei dem fremdartigen Neuen, sondern bei den Leerstellen im Stadtbild, sie prägten sich auf einmal ein. 
Fort sind die Roma Bettler, die Frau mit dem wettergegerbten Gesicht, die jungen Männer vor den Bio-Supermärkten, immer mit einem höflichen Gruß. Wo sind sie geblieben? In ihrem Zimmer zu zehnt irgendwo in Neukölln? Oder gar im heimatlichen Dorf umzingelt vom Militär, das die Roma auf feindliche Vire durchkämmt. 
Aus der Motzstraße verschwunden sind auch die Lederjungen, keck in schwarz mit einer Tätowierung am Hals. Die Bars und Clubs sind bekanntlich geschlossen. Was machen die noch mit dem Abstand Gebot?  ‚Keine Panik. Nimm einen Dildo‘, springt es mir von Plakaten entgegen. Wirklich? Wenn das mal keine Täuschung ist.
In der Genthiner Straße fehlen die Mädchen aus Neukölln, knapp dem engen arabischen Milieu entronnen und nun dazu verdonnert, den Freiern in ihren Autos zu Willen zu sein. Ich kannte mal die Frau eines Pfarrers, auch sie eine Neuköllner Schiitin, die hier im fernen Schöneberg ein neues Leben begann. Wie rührend sie sich um die Mädchen kümmerte, brachte ihnen Hygiene bei, verschaffte ihnen ein Dach überm Kopf und eine Ahnung von ihren Rechten. Fort sind sie alle, doch hoffentlich nicht wieder daheim. Auch die Autos der Freier sind verschwunden. Die sitzen vielleicht bei der Mutter und motzen nach Herzenslust an ihr herum. 
Vorbei am Bendler Block und der Kaserne, wo immer noch alles beim Alten ist. Weiter hinten am grünenden Saum des Tiergartens wartet das Phantom der Effinger Villa, doch damit war schon vor Kriegsanfang Schluss. Stattdessen rechts in die Sigismund Straße. Zwischen Neuer Nationalgalerie und Sankt-Matthäus-Kirche liegt verlassen die Staatsbibliothek zu Berlin. Es warten dort noch meine Bücher, wie lange das wohl dauern wird? Mir kommt unversehens ein Bild, wie man in zehn oder zwanzig Jahren, oder in einer Generation vielleicht, durch die schmutzverkrusteten Glastür brechen und wieder die Spinnfäden-verhangenen Halle betreten wird.
Am Potsdamer Platz der übliche Plunder, ein Stück der Mauer hinter Glas, der Frühstückssaal in Gold und Beige, wo Garbo und Chaplin sich begegnet sind. Vergangene Vergangenheit, wer will das noch wissen? Auch die letzten Touristen sind jetzt heim. Richtung Brandenburger Tor liegen Rent-a-bikes und Roller auf dem Gehsteig. Mir fehlen die Italiener, wie sie wehenden Haares auf den Rollern stehen, sie gemeingefährlich zwischen Autos und Lastern lenken, doch das Gespräch zum Nachbarn, das reißt ihnen nie ab. Wären sie doch hier statt in den abgeriegelten Städten, wo der Tod jetzt Hausherr spielt. 
Das Tor selbst bietet einen unverstellten Blick nach Osten und nach Westen, keine Podien, keine Party-Meile, keine Demonstration. Es grünt so grün, die Sonne scheint über allem. Wie verfahren unsere Lage geworden ist.


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Montag, der 6. April - Aufatmen

4/6/2020

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Die Berliner Luft erholt sich. Heute Morgen um 9.00 vergab der Berliner Luftqualitätsindex die Note 2 („gut“) an Schöneberg und Charlottenburg. Stark befahrene Straßen, darunter die Leipziger und die Karl-Marx, bekamen immerhin die Note 3 („befriedigend“). Für die Note 1 („sehr gut“) muss man Berlin noch verlassen. Aber auch so liegen die Werte im grünen Bereich. 
Die Luft erholt sich und mit ihr die Berliner, auch wenn deren Erholung sich langsam vollzieht. Was die Politik nicht geschafft hat, das erledigt sich nun von alleine. Die SUVs bleiben in den Garagen, die Flieger fliegen nicht. An der Württembergischen hängen dafür die Betten aus den Fenstern. Vielleicht wegen den vielen Stunden, die man jetzt darin verbringt? Passanten gehen zu zweit dahin, zwei Fahrradfahrer, zwei Jogger, zwei Stöcke-Schwinger, zwei kleine Jungs mit einer Spielkonsole, eine Frau mit ihrem Hund. Es laufen die Jogger mitten auf dem Fahrdamm. Wann sonst hat man das gesehen in Berlin? Wirtschaftliche Sorgen mögen sie alle haben, aber saubere Luft gibt es jetzt gratis und in Mengen dazu. 
Aufatmen, wo tut man das in Berlin am besten? Am Nachmittag geht es Richtung Tempelhofer Feld. Ich laufe die Route nicht so gerne, wartet doch hinter der S-Bahnbrücke ein Gelände, das die Nazizeit herbe in Erinnerung ruft. Hier, in der Feurig-, Pape- und Kolonnenstraße wurden 1933 die ersten ‚wilden‘ KZs errichtet. Man braucht nur Kurt Hiller darauf nachzuschlagen, um zu wissen was dann geschah. Auch das ist Berlin, yours truly, und bleibt uns wohl noch erhalten. Am Ende der Straße blinkt der Flughafen, am Gebäude Nazi-Adler Pomp. 
Dahinter auf dem Rollfeld steht eine steife Brise. Es segeln die Möwen, die Drachen segeln mit. Auf der Rollbahn in der Mitte rasen die Skater und Surfer. Fahrräder vom Columbiadamm kommend überqueren in Richtung Alt-Tempelhof. Läufer gehen in Trauben, ein Peloton Rennfahrer holt stetig auf. Ein Kind mit einem Roller hat dazwischen nichts verloren. Seit die Kreuzberger sich das Feld einverleibten, ist das hier eher ein Hochrisiko-Geschäft. 
Am Columbiadamm vor dem Shehitlik Friedhof steht eine Ansammlung Menschen. Der Pförtner lässt nur Männer rein und die auch nur zu zehnt. An der Moscheemauer ein Sarg, davor die Männer in einer Reihe. Sprechen das Totengebet und machen Platz für die nächste Schicht. Draußen bei den Mülleimern warten die Frauen. Hier ist die Luftqualität egal, dafür erfüllen Tränen die Luft. 
Zum Schluss noch beim Kioskbesitzer von gegenüber. Der ruft mich zu und berlinert dabei: ‚In Paris sind es Wein und Kondome, bei uns nur Bier und Klopapier. Was sagt uns das über die Berliner?‘ Welche Berliner meint er denn damit? Ehrlich. Ich gebe ihm die Antwort nicht.
 
 


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Sonntag der 5. April - Gastbeitrag: Bericht aus dem Krankenhaus

4/5/2020

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Hier eine Beobachtung an einem Ort, an dem ich zur Bestrahlung täglich bin, dem Benjamin Franklin-Klinikum in Steglitz:
Alles ist ruhiger geworden. Der Eingang Hindenburgdamm, der sonst sehr belebt ist, ist zu, nur der an der Klingsorstraße ist offen. Auch dort ist es sehr ruhig, es gibt Eingangskontrollen. Als Patient hat man einen Ausweis, der zum Eintritt berechtigt. Vor dem Eingang stehen gegen Ende einer Woche jede Menge Krankentransportfahrzeuge, die Entlassene nach Hause bringen. Bis Mittwoch ist alles eher leer. Gründonnerstag kannst Du da sicher wieder eine Schlange von Krankentransportwagen sehen. Man sieht mehr Patienten, die am Ende einer Woche entlassen werden, als Neuaufnahmen.
Am Anfang der Restriktionen sahen wir zu unserem Entsetzen mitten auf dem Grünstreifen des Hindenburgdamms noch eine Gruppe Abiturienten, die munter Coronaparty feierten.
Es ist verblüffend: Gerade jetzt kommen wir wegen der Restriktionen schneller mit dem Auto zur Klinik, auf dem Parkplatz ist immer Platz, und die Fahrt durch ein sonnenbeschienenes Brandenburg war die letzten Wochen sehr schön. Für die fast acht Wochen täglicher Bestrahlung hätte ich keine bessere Periode erwischen können. Man wird nachdenklich.
Wie Johan Cuijff sagte: Elk nadeel heeft zijn voordeel. Zu Deutsch: Jeder Nachteil hat seinen Vorteil.

Alles Gute,
Arndt
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Freitag, der 3. April - Raum und Zeit

4/3/2020

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Am Mittwoch, als ich draußen lief, da kamen mir auf einmal keine Geschichten mehr entgegen. Eine Sendepause war angesagt. Es gab dafür die herzlichsten Reaktionen, wofür an dieser Stelle Dank. Eine Leserin schrieb: ‚Kein Wunder. Es gibt sozusagen kein draußen mehr.‘ Das war das Stichwort. Ist das so? Da draußen geht die Sonne auf und pfeifen die Spatzen von den Dächern. Da draußen vertritt man sich die Füße, steht beim Laden an und guckt anderen beim Abstand halten zu. Es gibt ja immer noch viel zu bestaunen. Den Autofahrer zum Beispiel, der in Maske und Schal vermummt hinterm Steuer sitzt. Oder das Pärchen, das zu zweit einkaufen geht und sich lange nicht entscheiden kann. So lange es Leute gibt, gibt’s Action! Wahr ist, die Bilder gleichen sich Tag für Tag mehr an. Was fehlt sind die Rhythmen des Alltags. Es fehlt uns das Gefühl für Zeit. Stattdessen ein klebriges Spinngewebe, das jeden Tag zum faden Sonntag werden lässt. Wo ist Ariadne’s Faden geblieben?
Wussten Sie, dass heute die Osterferien beginnen, am Sonntag schon Palmsonntag ist, am Mittwoch das Pesachfest, Freitag der Karfreitag und danach Ostern kommt? Am 19. April werden die Orthodoxen feiern und am 23., einem Donnerstag, beginnt auch schon der Ramadan. Die großen religiösen Feste, wie wird man sie begehen? Der religiöse Kalender war doch immer ein ehernes Gerüst. Kurzer Gang also zur Kirche und Synagoge, die Moschee nicht vergessen und auch die Russisch-Orthodoxe Kirche nicht. Liegen sie noch im Dornröschenschlaf oder wird da schon an einem Faden gestrickt?
Russische Kirche. Klingeln. Pope kommt heraus. Was wird Ostern? ‚Bis dahin alle Nachtwachen abgesagt!‘ Moschee. Klingeln. Imam kommt heraus. Was wird Ramadan? ‚Das dauert noch. Das Fastenende sowieso. Vielleicht dürfen wir bis dahin wieder!‘ Kirche der Heiligen der Letzten Tagen: Nichts. Gemeinde Zum Heiligen Kreuz: Nichts. Sankt Ludwig: Nichts. Vor der Synagoge zwei Polizisten. ‚Junge Frau! Da ist niemand!‘ Die religiösen Kalender von heute, einen Leitfaden bieten sie nicht.
Heute morgen sagte Bruno Latour im Radio: Mikroben haben eine unheimliche Fähigkeit sich zu wandeln. Sie sind aber nicht unsere Feinde. Wir sollten vielmehr von ihnen lernen. Auch wir sind wandlungsfähig, ganz anders als die Mikroben das tun‘. Latour’s ‚wir‘, das sind die Institutionen von Politik und Wissenschaft, Kultur, Religion und die Wirtschaft, die Gesellschaft eben. Das Problem, das sich ihnen stellt, das Virus und die Folgen, ist mitnichten individuell. Latour dachte sicherlich auch nicht an Gregor Samsa, der sich beim Aufwachen in einen Käfer verwandelt sah. Samsa’s Problem: er sah den Ausschlag unterm Kinn, konnte sich aber nicht kratzen. Die Käferbeinchen erlaubten es ihm nicht. Die Gesellschaft jedoch, mit ihren vielen Armen und Beinen, ja, die kann die Krallen jetzt wetzen. 
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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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