DR. GERDIEN JONKER, PHD. - HISTORIAN OF RELIGION AND AUTHOR
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100 Tage.
Eine Ethnographie Berlins
​in der Corona-Krise
​
I. Das Geräusch der Stille

Abgeschlossen

Von 18. März bis 23. April

Dienstag, der 24. März - Wo Berlin am Stillsten ist

3/24/2020

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Heute ist es still. Stille auf allen Wegen, wie der Dichter sagt. Die Sonne ist aufgegangen und hat die Häuser berührt. Die Zeitung lag wie von Zauberhand auf der Matte. Die Müllmänner sind gekommen und haben die Tonnen durch den Hof gerollt. Dann haben die Staren noch laute Pfeiftöne von sich gegeben. Dann war Ruh‘. Am Anfang der Schöpfung soll die Welt tohu wa bohu, wüst und leer gewesen sein. Von Lärm war nie die Rede. In der Antike bedeutete Stille Einsamkeit oder die greifbare Nähe der Transzendenz, ein Ort voller Potential. Wir, die wir in unseren Wohnungen sitzen und verständnislos nach draußen schauen, nähern uns ihm langsam an. Draußen glänzt die Straße vor Möglichkeiten. Ein DHL Fahrer hält, trägt Pakete in den Kiosk, fährt wieder davon, lässt Stille zurück. Wo es heute in Berlin am Stillsten ist? Ich begebe mich auf die Suche.
Auf dem Vorplatz des Berliner Krematoriums, aufgestellt in der Choreographie dieser Tage, verharren schweigend sieben Personen, jede mit einer weißen Rose in der Hand. Zwischen vier Grablichtern die Urne. Der Friedhofswärter spricht einen Satz in die Stille hinein, umfasst die Urne, schreitet sorgfältig den Säulengang entlang. Die Füße der Trauernden klopfen ein Requiem auf das Pflaster. In mir steigen Purcell’s funeral sentences hoch‚ ‘In the midst of life we are in death‘ und ‘Rejoice in the Lord alway / and again I say rejoice.’ 
An der anderen Seite des Krematoriums liegt das Gräberfeld verlassen in der Mittagsonne. Hier ruhen sie, die auch im Tode sich nicht von der Religion vereinnahmen lassen wollten. Berliner mit altbekannten Namen wie Schubert, Naumann und Blisse. Nachkommen aus den bi-nationalen Ehen der Zwischenkriegszeit wie Ursula Özdemir, Dr. Soraja Wenig, Abdel Kader Sheikh-Ali oder Feiridoun Kankarlou. Eine Familie Asher. Eine Familie Levin. Die Ghazanfarians. Berlin war immer ein multikultureller und vor allem ein säkularer Ort. Um das zu wissen braucht es nicht den Lärm der Wilmersdorfer Straße oder der Sonnenallee. Hier waren sie schon immer in Stille vereint. 
Hinter dem Friedhof die Stadtautobahn. Ich folge ihr bis zur Fußgängerbrücke und schaue überm Rand. Nein, noch keine autofreie Sonntag Qualität, aber seit langem nicht mehr so leer. Das lässt hoffen. Ich weiß nicht was 1972 die Berliner machten, aber wir in Amsterdam, wir fuhren mit unseren Fahrrädern und Rollerblades auf die Autobahn und veranstalteten jeden Sonntag ein Fest. 
Zuhause begrüßt mich Karl Gottfried von Leitner: ‚Es ist so still, so heimlich um mich /
Die Sonn‘ ist unter, der Tag entwich / Wie schnell nun heran der Abend graut! / Mir ist es recht, sonst ist mir’s zu laut.‘ Vertont von Franz Schubert, gesungen von Christian Gerhaher mit Gerold Huber am Klavier ist das ein unwiderstehlicher Genuss.


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    Die Autorin wohnt im Berlin-Wilmersdorf

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