Gestern wurde endlich das Urteil im Ku’Damm-Raser Prozess gesprochen und siehe da, es war Mord. Die jungen Männer Marvin und Hamdi, der eine in einem aufgemotzten Mercedes Coupé, der andere in einem frisierten Audi, hatten sich 2016 in der Nacht ein Rennen geliefert, das für einen unbeteiligten Autofahrer tödlich endete. Das Rennen war kurz und gar nicht auf dem Ku’Damm. Die jungen Männer hatten sich vor der Ampel zur Joachimthaler Straße gespottet, gaben daraufhin Gas, scheuerten am Breitscheidplatz vorbei in die Tauentzienstraße hinein, kollidierten dort mit dem Menschen dessen Tod jetzt als Mord gewertet werden darf, und das war es auch schon, noch keinen Kilometer weit, davon 200 Meter auf dem Kurfürstendamm.
Frage: Warum hießen die beiden „Ku’Damm Raser“, wenn das Rennen wo anders verlief? Ganz einfach. Weil da „Cruisen am Kurfürstendamm“ schon seit fünfzehn Jahren als unwiderstehlich galt. Weil die geliebte Rennstrecke just am Adenauerplatz startete: zwei Kilometer den Ku’Damm herauf, links in die Joachimsthaler Straße, nochmals links die Kantstraße hoch, dann wieder rechts unter der S-Bahn durch in die Lewishamstraße Richtung Adenauerplatz und fertig, fünf Kilometer insgesamt. 2002 galt der Ku’Damm deswegen als „gefährlichste Straße der Stadt“. 2006 wurden dabei zwei Mädchen an der Bushaltestelle totgefahren. 2014 galt die Straße als „Raserstrecke Nummer 1“. Dann kamen Marvin und Hamdi, ließen am Rande die Motoren aufheulen und schon erkannte tout Berlin die Lieblingsbeschäftigung der Berliner. Sie waren „Ku’Damm Raser“ wie alle anderen auch.
Seit 135 Jahren steht der Kurfürstendamm für Glitzer, Glamour und Dazugehören, für Verwegenes und Mit-der-Nase-vorne-liegen, für Avant-Garde eben. Was aber Avant-Garde ausmacht, darüber entscheiden die Generationen und es ist ein durchaus beweglicher Begriff. 1920 mag es das Bananenröckchen gewesen sein, das allabendlich auf der Bühne hochgeschwungen wurde und Männern in wohlige Ekstase versetzte. 2020 ist es jedoch und unangefochten der Maserati, vom Fahrer geleased und auf dem Mittelstreifen geparkt, damit die Ku’Damm Spotter ihn erst fotografieren können, bevor es richtig losgeht.
Der Kurfürstendamm also, die Straße des Sehens und Gesehen-werdens, die Straße der Cruiser, in der niemand wohnt, in der aber jeder der etwas auf sich hält eine Adresse haben muss, die teuerste Straße der Stadt. Jede Hauptstadt hat so ihre Glamour-Meile und doch stimmt hier etwas nicht. Warum haben die Berliner die ihre so stiefmütterlich, ja halsabschneiderisch behandelt? Gehätschelt wurde dieser Damm jedenfalls nicht. Fangen wir einmal beim Anfang an und schauen, was davon unterwegs zu sehen ist.
Zu Zeiten des großen Kurfürsten gab es vom Zentrum der Stadt einen Wald- und Wiesenweg, der zum Schloss im Grunewald führte. Im Tiergarten zweigte er links ab, lief durch das Tiergartenviertel durch, passierte die Brücke über den Landwehrkanal und ging von dort in gerader Linie bis zu Halensee. Dort wurde erst einmal Rast gemacht, damit die Prinzessin, Luise Henriette aus den Niederlanden, sich verschnaufen konnte. Möge diese bukolische Idylle längst verschwunden sein, heute ist das noch immer der Henriette-Platz. 200 Jahre später setzte Bismarck sich dafür ein, aus dem Wald- und Wiesenweg einen Prachtboulevard zu kreieren, nach Pariser Vorbild selbstverständlich, nur sollte sein Boulevard eine Straße der Superlative sein. Pariser Boulevards – ob Saint German, Saint Martin oder Montmartre – maßen über den Damm durchschnittlich fünfunddreißig Meter. Aber der Kurfürstendamm bekam eine Breite von fünfundfünfzig Meter eingeräumt. In Paris liefen sie nach höchstens zwei Kilometer ins Leere, der Berliner Boulevard ging beinahe fünf Kilometer lang.
Wer so groß plant will auch große Bauten, und die bekam der Kurfürstendamm. Im Grunde war es Berliner Altbau, aber dann ins Gigantische, die an die Straße grenzende Seite vierzig und mehr Meter lang. Am Ende wurden 266 Baugrundstücke vergeben, etwa 133 für jede Seite. Auf einer Länge von fünf Kilometer ist da für jeden genügend Platz. Zwischen Landwehrkanal und Aquarium überherrschten zwar die kleinen klassizistischen Villen des Tiergartenviertels, wovon heute noch eine zu sehen ist. Sie steht auf der alten Grundstücksnummer 265, das vorletzte Haus vor dem Kanal. Aber spätestens am Augusta-Viktoria (heute Breitscheid-) Platz, wo der Damm eine kurze Schlinge um die Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche legte, ging‘s los mit den Giganten. Um 1900 galten sie zwar bereits schon als „protzig“. Dennoch waren sie der Stolz dieser Stadt.
Geschah es, weil dieser erste Abschnitt des Kurfürstendamms nicht genügend protzte? Jedenfalls wurde er 1925 zur persona non grata erklärt. Abgehängt als die „Budapester Straße“ lenkten spätere Baumeister sie gar Richtung Nürnberger Straße. Zu allem Überfluss wurde auch noch ein Keil in die Straßenführung gelegt: der Olaf Palme Platz. Dich kenn‘ ich nicht mehr! schien Berlin sich selber zu sagen und weg war der Anfang des Kurfürstendamms, zehn Häuser auf der Tiergartenseite, zwanzig ihr gegenüber, die bis auf einen verschwunden sind. Auch die Kirche wurde dem Breidscheidplatz überlassen, zuerst als Kaiser-Gedächtnis, dann als Bombendenkmal einer Bomben-verwüsteten Stadt. Ekklesia Bombardeada, Berlins wohl wichtigste Touristenattraktion. Erst danach begann der Kurfürstendamm von neuem und fing nunmehr mit Nummer 11 als sein erster an.
Wie vorhin gesagt, von der Joachimsthaler Straße bis zum Adenauer Platz verläuft die Rennstrecke der Cruiser und Raser. Sie ist das eigentliche Glanzstück des Kurfürstendamms. 1913 wohnten hier schon 120 Millionäre, so raunen es die Berliner. Wirklich? Ist das nun etwas, um darauf stolz zu sein? „Der Kurfürstendamm, die schönste Prachtstraße von Berlin W., hatte außer den mit Terrassen geschmückten Bürgersteigen, auch zwei Trambahnlinien und eine doppelspurige Fahrbahn aufzuweisen“, stellte 1929 Yvan Goll, aus Paris kommend, nüchtern fest. In der Tat, nach der Trennung von ihrem Anfang gab es an dieser Straße keinen Zoo mehr, kein Aquarium und keine Kirche, kein einziges Denkmal und überhaupt, keinen repräsentativen Platz.
Geblieben waren ihr die großen Häuser und die Straßenterrassen. Geblieben war auch der Mythos, der Größte von allen zu sein. Gabriele Tergit schilderte 1931 das Spiel der Bauspekulanten mit dem schnellen Geld und den aufgeblähten Bauten. Ein paar Jahre später erschienen die Arbeiter vom Ostkreuz in den braunen Uniformen der SA, angezogen von dem Duft der Verführung, die Ohren klingelnd mit Geschichten von „Kurfürstendamm-Juden“, die hätten doch an allem Schuld. Wie sie am Kurfürstendamm darauf los hauten, das ist von vielen beschrieben worden. Mit der Verjagung und Ermordung der Juden schafften sich anschließend die Nazis selber einen Platz. Schöner Wohnen als am Kurfürstendamm kam auch für die nicht im Frage. Bis die Bomben niederkamen, dann war auch mit dieser Chimäre Schluss.
„Ich habe so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“, sang Hildegard Knef in den Nachkriegsjahren und wenn sie in Berlin verblieb dann wohnte sie tatsächlich stets dort, nicht in einer der großen Wohnungen, sondern im Hotel Kempinski, was doch auch ein Standing war. Später zog sie in einer der Seitenstraßen ein. Am Kurfürstendamm selber zu wohnen kam nicht mehr im Frage und heute scheint das auch niemand mehr zu tun. Schaut man früh morgens zu den Fenstern hoch, so sieht man überall verschlossene Rollläden und auch der heutige Erkundungsgang lieferte viele Hinweise, das dem so ist. Aus der Lektüre der Namensschildern an den großen Häusern ergaben sich, statt die Namen von Bewohnern, die Namen von Kliniken, Immobilienmaklern, Anwälten, Capital Investors, Mediengruppen, Hausverwaltungen, Zahnarztpraxen und Bürohäusern allerlei Couleur. Am Ku’Damm-Eck oberhalb vom Kranzler zum Beispiel kann man schon für 365€ im Monat einen Schreibtisch mieten. Auch zwei Quadratmeter haben hier ihren Preis.
„Wird hier dann noch irgendwo gewohnt?“, frage ich einen Pförtner, der in seinem Glaskasten die Berliner Zeitung liest. Er grinst. „Darf ich nicht sagen, junge Frau, aber vielleicht da drüben schon!“ Seine Finger weist Richtung Leibniz Straße und tatsächlich, erst hinter dem Adenauer Platz erscheinen wieder Vorhänge und Pflanzen auf dem Balkon. Wir haben die Rennstrecke überwunden und siehe da, die Prachtstraße hat ihren Flair abgelegt. Statt protziger 1900 Bauten stehen nunmehr unscheinbare Kästen herum. Bis zum Henriette-Platz reihen sich die Neubauten. Die Straße erhält diese gewisse Krustigkeit, die im Übergang und Verschwinden seine Ursache hat. Links vor der S-Bahn lugt noch ein sperriger Neubau hinter Bauzäunen hervor, der S-Bahneingang daneben unscheinbar und starrend vor Schmutz. Die S-Bahnbrücke selber eine geteerte Wüste, laut und unattraktiv. Nach Überqueren der Brücke macht der gigantische Kasten eines Bauhaus sein Statement, nicht schön, dafür aber mit Parkplatz und Drive-In äußerst effektiv.
Nun sind noch 500 Meter bis zur Stelle zu gehen, wo der Damm in die Königsallee übergeht. Und genau an dieser Stelle, dort wo der lärmige Verkehr Richtung Avus einbiegt und geradeaus die Villenviertel des Grunewalds winken, da steht auch das einzige Monument des Kurfürstendamms. Wir begutachten zwei kollidierende Chevrolets in Beton gegossen und bewerten sie als irgendwie Avant-Garde und auf jedem Fall passend zum Straßen-Arrangement. Was mit einer Kollision anfing, kann nur mit einer Kollision beendet werden. Im Aufprall verewigten Autos, was passt da mehr zu diesem Wald- und Wiesendamm? Warum der öde Kreisverkehr dennoch Rathenau-Platz genannt werden musste, nach dem genialen Außenminister, der vor hundert Jahre nicht weit von hier ermordet worden ist, das ist noch eins dieser Ku’Damm Mysterien, das wohl nie gelüftet werden wird.
Literatur:
Yvan Goll, Sodom Berlin (1929). Frankfurt: Fischer Verlag, 1988.
Gabriele Tergit, Käsebier erobert den Kurfürstendamm. (1931). Frankfurt/M: BTB, 2017.
Frage: Warum hießen die beiden „Ku’Damm Raser“, wenn das Rennen wo anders verlief? Ganz einfach. Weil da „Cruisen am Kurfürstendamm“ schon seit fünfzehn Jahren als unwiderstehlich galt. Weil die geliebte Rennstrecke just am Adenauerplatz startete: zwei Kilometer den Ku’Damm herauf, links in die Joachimsthaler Straße, nochmals links die Kantstraße hoch, dann wieder rechts unter der S-Bahn durch in die Lewishamstraße Richtung Adenauerplatz und fertig, fünf Kilometer insgesamt. 2002 galt der Ku’Damm deswegen als „gefährlichste Straße der Stadt“. 2006 wurden dabei zwei Mädchen an der Bushaltestelle totgefahren. 2014 galt die Straße als „Raserstrecke Nummer 1“. Dann kamen Marvin und Hamdi, ließen am Rande die Motoren aufheulen und schon erkannte tout Berlin die Lieblingsbeschäftigung der Berliner. Sie waren „Ku’Damm Raser“ wie alle anderen auch.
Seit 135 Jahren steht der Kurfürstendamm für Glitzer, Glamour und Dazugehören, für Verwegenes und Mit-der-Nase-vorne-liegen, für Avant-Garde eben. Was aber Avant-Garde ausmacht, darüber entscheiden die Generationen und es ist ein durchaus beweglicher Begriff. 1920 mag es das Bananenröckchen gewesen sein, das allabendlich auf der Bühne hochgeschwungen wurde und Männern in wohlige Ekstase versetzte. 2020 ist es jedoch und unangefochten der Maserati, vom Fahrer geleased und auf dem Mittelstreifen geparkt, damit die Ku’Damm Spotter ihn erst fotografieren können, bevor es richtig losgeht.
Der Kurfürstendamm also, die Straße des Sehens und Gesehen-werdens, die Straße der Cruiser, in der niemand wohnt, in der aber jeder der etwas auf sich hält eine Adresse haben muss, die teuerste Straße der Stadt. Jede Hauptstadt hat so ihre Glamour-Meile und doch stimmt hier etwas nicht. Warum haben die Berliner die ihre so stiefmütterlich, ja halsabschneiderisch behandelt? Gehätschelt wurde dieser Damm jedenfalls nicht. Fangen wir einmal beim Anfang an und schauen, was davon unterwegs zu sehen ist.
Zu Zeiten des großen Kurfürsten gab es vom Zentrum der Stadt einen Wald- und Wiesenweg, der zum Schloss im Grunewald führte. Im Tiergarten zweigte er links ab, lief durch das Tiergartenviertel durch, passierte die Brücke über den Landwehrkanal und ging von dort in gerader Linie bis zu Halensee. Dort wurde erst einmal Rast gemacht, damit die Prinzessin, Luise Henriette aus den Niederlanden, sich verschnaufen konnte. Möge diese bukolische Idylle längst verschwunden sein, heute ist das noch immer der Henriette-Platz. 200 Jahre später setzte Bismarck sich dafür ein, aus dem Wald- und Wiesenweg einen Prachtboulevard zu kreieren, nach Pariser Vorbild selbstverständlich, nur sollte sein Boulevard eine Straße der Superlative sein. Pariser Boulevards – ob Saint German, Saint Martin oder Montmartre – maßen über den Damm durchschnittlich fünfunddreißig Meter. Aber der Kurfürstendamm bekam eine Breite von fünfundfünfzig Meter eingeräumt. In Paris liefen sie nach höchstens zwei Kilometer ins Leere, der Berliner Boulevard ging beinahe fünf Kilometer lang.
Wer so groß plant will auch große Bauten, und die bekam der Kurfürstendamm. Im Grunde war es Berliner Altbau, aber dann ins Gigantische, die an die Straße grenzende Seite vierzig und mehr Meter lang. Am Ende wurden 266 Baugrundstücke vergeben, etwa 133 für jede Seite. Auf einer Länge von fünf Kilometer ist da für jeden genügend Platz. Zwischen Landwehrkanal und Aquarium überherrschten zwar die kleinen klassizistischen Villen des Tiergartenviertels, wovon heute noch eine zu sehen ist. Sie steht auf der alten Grundstücksnummer 265, das vorletzte Haus vor dem Kanal. Aber spätestens am Augusta-Viktoria (heute Breitscheid-) Platz, wo der Damm eine kurze Schlinge um die Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche legte, ging‘s los mit den Giganten. Um 1900 galten sie zwar bereits schon als „protzig“. Dennoch waren sie der Stolz dieser Stadt.
Geschah es, weil dieser erste Abschnitt des Kurfürstendamms nicht genügend protzte? Jedenfalls wurde er 1925 zur persona non grata erklärt. Abgehängt als die „Budapester Straße“ lenkten spätere Baumeister sie gar Richtung Nürnberger Straße. Zu allem Überfluss wurde auch noch ein Keil in die Straßenführung gelegt: der Olaf Palme Platz. Dich kenn‘ ich nicht mehr! schien Berlin sich selber zu sagen und weg war der Anfang des Kurfürstendamms, zehn Häuser auf der Tiergartenseite, zwanzig ihr gegenüber, die bis auf einen verschwunden sind. Auch die Kirche wurde dem Breidscheidplatz überlassen, zuerst als Kaiser-Gedächtnis, dann als Bombendenkmal einer Bomben-verwüsteten Stadt. Ekklesia Bombardeada, Berlins wohl wichtigste Touristenattraktion. Erst danach begann der Kurfürstendamm von neuem und fing nunmehr mit Nummer 11 als sein erster an.
Wie vorhin gesagt, von der Joachimsthaler Straße bis zum Adenauer Platz verläuft die Rennstrecke der Cruiser und Raser. Sie ist das eigentliche Glanzstück des Kurfürstendamms. 1913 wohnten hier schon 120 Millionäre, so raunen es die Berliner. Wirklich? Ist das nun etwas, um darauf stolz zu sein? „Der Kurfürstendamm, die schönste Prachtstraße von Berlin W., hatte außer den mit Terrassen geschmückten Bürgersteigen, auch zwei Trambahnlinien und eine doppelspurige Fahrbahn aufzuweisen“, stellte 1929 Yvan Goll, aus Paris kommend, nüchtern fest. In der Tat, nach der Trennung von ihrem Anfang gab es an dieser Straße keinen Zoo mehr, kein Aquarium und keine Kirche, kein einziges Denkmal und überhaupt, keinen repräsentativen Platz.
Geblieben waren ihr die großen Häuser und die Straßenterrassen. Geblieben war auch der Mythos, der Größte von allen zu sein. Gabriele Tergit schilderte 1931 das Spiel der Bauspekulanten mit dem schnellen Geld und den aufgeblähten Bauten. Ein paar Jahre später erschienen die Arbeiter vom Ostkreuz in den braunen Uniformen der SA, angezogen von dem Duft der Verführung, die Ohren klingelnd mit Geschichten von „Kurfürstendamm-Juden“, die hätten doch an allem Schuld. Wie sie am Kurfürstendamm darauf los hauten, das ist von vielen beschrieben worden. Mit der Verjagung und Ermordung der Juden schafften sich anschließend die Nazis selber einen Platz. Schöner Wohnen als am Kurfürstendamm kam auch für die nicht im Frage. Bis die Bomben niederkamen, dann war auch mit dieser Chimäre Schluss.
„Ich habe so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“, sang Hildegard Knef in den Nachkriegsjahren und wenn sie in Berlin verblieb dann wohnte sie tatsächlich stets dort, nicht in einer der großen Wohnungen, sondern im Hotel Kempinski, was doch auch ein Standing war. Später zog sie in einer der Seitenstraßen ein. Am Kurfürstendamm selber zu wohnen kam nicht mehr im Frage und heute scheint das auch niemand mehr zu tun. Schaut man früh morgens zu den Fenstern hoch, so sieht man überall verschlossene Rollläden und auch der heutige Erkundungsgang lieferte viele Hinweise, das dem so ist. Aus der Lektüre der Namensschildern an den großen Häusern ergaben sich, statt die Namen von Bewohnern, die Namen von Kliniken, Immobilienmaklern, Anwälten, Capital Investors, Mediengruppen, Hausverwaltungen, Zahnarztpraxen und Bürohäusern allerlei Couleur. Am Ku’Damm-Eck oberhalb vom Kranzler zum Beispiel kann man schon für 365€ im Monat einen Schreibtisch mieten. Auch zwei Quadratmeter haben hier ihren Preis.
„Wird hier dann noch irgendwo gewohnt?“, frage ich einen Pförtner, der in seinem Glaskasten die Berliner Zeitung liest. Er grinst. „Darf ich nicht sagen, junge Frau, aber vielleicht da drüben schon!“ Seine Finger weist Richtung Leibniz Straße und tatsächlich, erst hinter dem Adenauer Platz erscheinen wieder Vorhänge und Pflanzen auf dem Balkon. Wir haben die Rennstrecke überwunden und siehe da, die Prachtstraße hat ihren Flair abgelegt. Statt protziger 1900 Bauten stehen nunmehr unscheinbare Kästen herum. Bis zum Henriette-Platz reihen sich die Neubauten. Die Straße erhält diese gewisse Krustigkeit, die im Übergang und Verschwinden seine Ursache hat. Links vor der S-Bahn lugt noch ein sperriger Neubau hinter Bauzäunen hervor, der S-Bahneingang daneben unscheinbar und starrend vor Schmutz. Die S-Bahnbrücke selber eine geteerte Wüste, laut und unattraktiv. Nach Überqueren der Brücke macht der gigantische Kasten eines Bauhaus sein Statement, nicht schön, dafür aber mit Parkplatz und Drive-In äußerst effektiv.
Nun sind noch 500 Meter bis zur Stelle zu gehen, wo der Damm in die Königsallee übergeht. Und genau an dieser Stelle, dort wo der lärmige Verkehr Richtung Avus einbiegt und geradeaus die Villenviertel des Grunewalds winken, da steht auch das einzige Monument des Kurfürstendamms. Wir begutachten zwei kollidierende Chevrolets in Beton gegossen und bewerten sie als irgendwie Avant-Garde und auf jedem Fall passend zum Straßen-Arrangement. Was mit einer Kollision anfing, kann nur mit einer Kollision beendet werden. Im Aufprall verewigten Autos, was passt da mehr zu diesem Wald- und Wiesendamm? Warum der öde Kreisverkehr dennoch Rathenau-Platz genannt werden musste, nach dem genialen Außenminister, der vor hundert Jahre nicht weit von hier ermordet worden ist, das ist noch eins dieser Ku’Damm Mysterien, das wohl nie gelüftet werden wird.
Literatur:
Yvan Goll, Sodom Berlin (1929). Frankfurt: Fischer Verlag, 1988.
Gabriele Tergit, Käsebier erobert den Kurfürstendamm. (1931). Frankfurt/M: BTB, 2017.